Praxislabor unter Druck
Ein bewährtes Triage-Instrument im Kreuzfeuer
Für die Haus- und Kinderärzte ist das Praxislabor mehr als ein unverzichtbarer Bestandteil der täglichen Arbeit. In der Ära von Gesundheitsminister Couchepin wurde es zum Symbol des politischen Widerstands gegen die laufende Verschlechterung der Rahmenbedingungen in der Grundversorgung. Jetzt kommt das Praxislabor wieder unter Druck.
Alle Haus- und Kinderärzte, die ein Praxislabor betreiben, erachten es als immens wichtig für die effiziente und kostengünstige Betreuung ihrer Patienten. Tatsächlich ist das Praxislabor ein unverzichtbares und hocheffizientes Triage-Instrument in der täglichen Arbeit. Aber so selbstverständlich es im hausärztlichen Alltag eingesetzt wird, so sehr setzen es politische Gegenspieler immer wieder unter Druck. So wurde die Analysenliste 2009 bereits einmal totalrevidiert. Wir erinnern uns: Die mit der damaligen Revision verbundene Neukalkulation der Tarife führte bei den Praxislabors schlagartig zu Einnahmeverlusten von bis zu 30%. Damit liess sich das Praxislabor nicht mehr kostendeckend betreiben und stand vor dem Aus.
Dieser verheerende Entscheid von Bundesrat Pascal Couchepin wirkte wie ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Couchepins Entscheid trieb die Hausärzte zu Tausenden für Protestaktionen auf die Strasse. Am 1. April 2009, dem Tag der Hausarztmedizin, riefen viele zum Streik auf. Es war dies der letzte Anstoss für die Lancierung der Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin». Für die Haus- und Kinderärzte ist das Praxislabor seither mehr als ein unabdingbares Instrument für ihre Arbeit: Der Kampf um das Praxislabor ist auch zum politischen Symbol geworden.
Korrektur unter dem Druck der Initiative
Der Bundesrat hatte mit dem Masterplan «Hausarztmedizin und medizinische Grundversorgung» auf den grossen Druck der Initiative reagiert und mit substanziellen Verbesserungen zugunsten der Hausarztmedizin den Rückzug der Initiative ermöglicht. Mitentscheidend war die Bestimmung von 33 sogenannten «Schnellen Analysen» für das Praxislabor. Deren Tarife wurden mit einem spezifisch auf die Praxis abgestimmten Kostenmodell berechnet, um den effektiven wirtschaftlichen Gegebenheiten der Hausarztpraxis zu entsprechen, sprich die Preise wurden wieder angehoben. Offenbar hatte man im Lichte der Initiative verstanden, dass ein patientennahes Praxislabor für eine effiziente, kostengünstige Grundversorgung zentral ist.
Neue Revision, alte Befürchtungen
Seit Ende 2017 läuft nun eine neuerliche Revision der gesamten Analysenliste. In einem ersten (abgeschlossenen) Schritt wurde die ganze Struktur durchleuchtet und wo möglich vereinfacht. In einem zweiten (noch laufenden) Schritt sollen nun die Preise aller Analysen neu berechnet werden. Dabei bestätigt sich, dass ein korrektes Kostenmodell für die grossen Auftragslabors nicht identisch sein kann mit einem Kostenmodell für das Praxislabor. Sehr schwierig bis unmöglich ist auch der Auslandspreisvergleich, zumal die Gesundheitssysteme und die Abgeltungsmodelle praktisch nirgends vergleichbar sind.
Dürfen wir davon ausgehen, dass die Liste der 33 «Schnellen Analysen» so auch künftig erhalten bleibt? Werden sich alle Beteiligten beim Erarbeiten des Masterplans an die Versprechen erinnern, die zum Rückzug der Initiative „Ja zur Hausarztmedizin“ geführt hatten? Die Antwort auf diese Fragen hängt auch vom Ausgang eines weiteren Projekts ab: Aktuell läuft ein Health Technology Assessment (HTA) der «Schnellen Analysen» des Praxislabors. Überprüft werden dabei die Präzision der Analysen im Vergleich zum Auftragslabor und die Notwendigkeit, das Resultat noch in der gleichen Konsultation zur Verfügung zu haben, also Präsenzdiagnostik im engeren Sinn. Für die meisten Analysen gibt es starke Argumente, dass sie schnell vorliegen, vor allem wenn zusätzlich versorgungspolitische Kriterien berücksichtigt werden. Bezieht man diese mit ein, wird klar, dass zur Beurteilung des Stellenwerts des Praxislabors mehr gehört als die Erkenntnis, ob es gleich präzise Analysen liefert wie das Grosslabor.
Kosten und Wert des Praxislabors
Sämtliche Analysen, die auf der Analysenliste fungieren – also nicht nur die «Schnellen Analysen» des Praxislabors – machen umsatzmässig rund 5% der gesamten OKP-Leistungen aus. Das zeigt das Monitoring des BAG (der aktuelle Datenpool deckt die Jahre 2016 bis 2019 ab). Wichtig zu wissen ist dabei:
- Von allen Analysen im ambulanten Setting entfielen in diesem Zeitraum etwa 39% auf das Praxislabor. Bei den Kosten machen diese aber nur 27% aus.
- Die Kosten für Laboranalysen sind im untersuchten Zeitraum weniger stark gestiegen als die Gesamtkosten der OKP.
- Die Anzahl der Analysen, die im Praxislabor durchgeführt werden, blieben im Betrachtungszeitraum praktisch konstant.
Das bedeutet: In den Praxislabors der Haus- und Kinderärzte fand keine Mengenausweitung statt. Die Mengen und auch die Kosten blieben stabil. So viel zur Kostenseite. Und der Wert des Praxislabors?
- Praxislabors erlauben im Rahmen der Präsenzdiagnostik eine raschere Diagnosestellung, der Beginn einer sofortigen Behandlung. Sie vermeiden damit unnötige Spitaleinweisungen oder Zweitkonsultationen zur Besprechung der verzögert vorliegenden Resultate aus dem externen Grosslabor.
- Behandlungen können besser gesteuert werden durch unmittelbare Anpassungen der (medikamentösen) Therapie.
- Praxislabors sind Grundlage für eine einfache, effiziente und kostengünstige ambulante Medizin von hoher Qualität in den Praxen der Grundversorger. Diese Grundversorgung muss auch mit Blick auf die Kostendämpfung weiterhin flächendeckend und dezentral angeboten werden können.
- Mit der Präsenzdiagnostik kann auch die «Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR)» stringenter umgesetzt und unnötiger Einsatz von Antibiotika vermieden werden.
- In der heutigen Zeit, in welcher der Klimawandel und die Nachhaltigkeit wichtige Themen sind, hat das Praxislabor aufgrund wegfallender Transporte ins Auftragslabor und vermiedener Zusatzkonsultationen eine massiv bessere Ökobilanz.
Der Wert des Praxislabors konnte im Verlauf des Masterplans allen massgebenden Akteuren ausreichend und plausibel dargelegt werden. Die seither vergangene Zeit zeigt: Das Praxislabor ist eine sehr gute und sehr lohnende Investition in eine effiziente, kostenbewusste und patientennahe Versorgung. Es bleibt zu hoffen, dass sich alle mit der jetzigen Revision betrauten Entscheidungsträger dessen bewusst sind. Die Haus- und Kinderärzte werden jedenfalls mit Argusaugen beobachten, was in den kommenden Monaten beim Praxislabor passiert.