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Online-Magazin von mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz

Lesedauer ca. 8 Min.

Tarifarische Aufwertung der Haus- und Kinderärzt:innen ist absolut zwingend

Tarifverhandlungen

Tarifarische Aufwertung der Haus- und Kinderärzt:innen ist absolut zwingend

Mit der gleichzeitigen Einführung von TARDOC und ambulanten Pauschalen steht die beabsichtigte und dringend nötige Stärkung der ärztlichen Grundversorgung auf dem Spiel. Klar ist: Kollateralschäden dieser Tarifeinführung per 1.1 2026 werden die Haus- und Kinderärzt:innen unter keinen Umständen akzeptieren. Die Aufwertung der haus- und kinderärztlichen Praxen im Tarif muss gelingen. Jetzt und ohne Wenn und Aber!

Wir sagen es unverblümt so, wie es ist: Wir machen uns Sorgen, grosse Sorgen. Die gleichzeitige Einführung von TARDOC und Pauschalen für ambulant erbrachte Leistungen bringt einige Herausforderungen mit sich. Erstens lässt sich nie mit Sicherheit sagen, wie sich eine neue Tarifstruktur finanziell auswirkt, wenn sie tatsächlich im Alltag zur Anwendung kommt. Zweitens gilt für die Einführungsphase das Gebot der Kostenneutralität. Der Kuchen wird also nicht grösser, die relevante Frage ist deshalb: Wer bekommt wie grosse Stücke? Auch das lässt sich nicht mit Sicherheit voraussagen. Und drittens schliesslich wird der ursprüngliche TARDOC unter enormem Zeitdruck mit ambulanten Pauschalen ergänzt. Das Ergebnis ist eine beträchtliche Ungewissheit bezüglich der Auswirkungen der Tarifreform auf die gesamte Finanzierung im ambulanten Bereich – und die Angst von uns Grundversorger:innen vor (auch unbeabsichtigten) Kollateralschäden.

Seit Jahren wird uns zugesichert, dass mit einem neuen ambulanten Tarifsystem die Haus- und Kinderärzt:innen gestärkt werden müssten. Wir sind froh um den breiten politischen Support und vor allem um jenen aus der Bevölkerung. Zur Erinnerung: 88 % haben 2014 an der Urne ja gesagt zur Stärkung der haus- und kinderärztlichen Versorgung! Der Handlungsbedarf ist seit vielen Jahren bekannt und wird immer offensichtlicher. Stichwort «Haus- und Kinderarztmangel». Trotzdem deuten derzeit einige Zeichen darauf hin, dass die angestrebte Aufwertung der ärztlichen ambulanten Grundversorgung durch die zahlreichen Last-Minute-Eingriffe in das Tardoc-Gesamtkonstrukt gefährdet werden könnte. Ein wichtiger Grund dafür sind, wie gesagt, die Pauschalen, die auf Verlangen des Bundesrats bzw. des Parlaments nun unter grossem Zeitdruck mit TARDOC zusammengelegt werden müssen. 

Undifferenzierte Kostenneutralitätskonzepte

Obwohl für die haus- und kinderärztliche Arbeit selbst keine Pauschalen vorgesehen sind, wird das neue Pauschalensystem für unsere Praxen also zum grossen Risiko. Wieso das? Die geforderte Kostenneutralität verlangt, dass der Wechsel auf ein neues Tarifsystem insgesamt keine Mehrkosten verursachen darf. In den unter massivem Zeitdruck erarbeiteten Kostenneutralitätskonzepten wird es schwierig, zielgenaue Analysen und Anpassungen zu machen. Ein Nachweis und die Gewissheit, dass die haus- und kinderärztlichen Leistungen genügend geschützt oder gestärkt werden, steht aus. Wenn allfällige Gesamtkostensteigerungen im ambulanten Bereich nicht genügend eruiert und noch nicht verursachergerecht korrigiert werden können, drohen nicht zielgenaue Tarifsenkungen, die einfach alle betreffen. 

Es kann also sein, dass überhöhte Pauschalen im spitalambulanten Bereich zu einer Kostensteigerung führen, dessen Korrektur wir später mit Tarifsenkungen eben auch in den Haus- und Kinderarztpraxen berappen müssen. Passiert das, wird den wirtschaftlich ohnehin angeschlagenen haus- und kindeärztlichen Praxen vitaler Schaden zugefügt. 

Neuer Tarif: Plötzlich grosse Risiken statt Chancen

Die Einführung eines neuen ambulanten Tarifs stellt eine Chance dar, ein seit zwei Jahrzehnten bestehendes Ungleichgewicht endlich zu korrigieren und den Tarif für die Haus- und Kinderärzt:innen aufzuwerten. Zur Erinnerung: Im geltenden TARMED-System sind die am höchsten bewerteten ärztlichen Leistung zweieinhalb Mal mehr wert als Leistungen von Haus- und Kinderärzt:innen. Das ist eklatant, und all unsere Anstrengungen in der Nachwuchsförderung und gegen den Hausarztmangel laufen ins Leere, wenn diese Ungleichbehandlung nicht korrigiert wird. Fakt ist aber, dass am Ende der Verhandlungen, unter dem zeitlichen Druck und nach vielen arbiträren Eingriffen in ein wohltariertes System wie Tardoc die Abgeltung von haus- und kinderärztlichen Leistungen nicht verbessert, sondern schlimmstenfalls sogar schlechter wird. Diese Befürchtung ist im Moment sehr real. Es sei denn, es gelingt, mögliche negative Auswirkungen auf die Grundversorgung zu antizipieren, zu monitorisieren und bei Bedarf zielgenau und unverzüglich einzugreifen. Diese Gewissheit brauchen wir.

Die Haus- und Kinderärzt:innen haben in den letzten Jahren sehr gut zugehört, wenn Rede davon war, die kosteneffiziente, patientennahe Grundversorgung stärken zu wollen. Ein Auftrag der vom KVG und der Abstimmung zur Hausarztinitiative von der Bevölkerung gegeben wird. Die wirtschaftliche Situation sehr vieler Praxen hat sich in den teuerungsstarken Jahren noch einmal deutlich verschlechtert. Es steckt also kein politisches Kalkül dahinter, wenn wir immer wieder wiederholen, dass viele Praxen wirtschaftlich angeschlagen sind. Nein, es ist das, was wir aus allen Regionen der Schweiz von unserer Basis hören und sehen.

Zunehmender Unmut 

Die allermeisten unserer Kolleg:innen haben ihre Füsse bis jetzt stillgehalten und warteten geduldig auf die von allen Seiten in Aussicht gestellten Verbesserungen mit Tardoc. Bis jetzt. Die Teuerung der letzten Jahre, die gestiegenen Personalkosten, zunehmende regulatorische Anforderungen oder Investitionskosten für technologischen und elektronischen Fortschritt, all das stellt die wirtschaftliche Situation unserer Praxen hart auf die Probe – und die Geduld der Kolleg:innen. Es ist deshalb absolut zwingend, dass die substanzielle Stärkung der haus- und kinderärztlichen Versorgung jetzt gelingt. Was sicher ist: Die Haus- und Kinderärzteschaft wird unter keinen Umständen bereit sein, Kollateralschäden einer Tarifeinführung zu akzeptieren. Und was wir hören: Sehr viele Kolleg:innen sind nun gewillt, ihren Unmut in aller Deutlichkeit kundzutun, wenn auf die jahrelangen Worte jetzt keine Taten folgen.

Schöne Worte reichen nicht mehr – es braucht mehr Geld, jetzt! 

Mit dem Tarifwechsel muss die lange in Aussicht gestellte Stärkung der haus- und kinderärztlichen Grundversorgung in den Praxen endlich Realität werden. Es braucht ein substanzielles Plus gegenüber dem Status Quo. Nicht fiktiv, nicht Taxpunkte, keine Faktoren. Nein, in der Kasse, in Franken und Rappen. Denn damit müssen wir Mieten und Löhne bezahlen und den einen zentralen Teil der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherstellen. Mit der Einführung von Tarmed haben die Haus- und Kinderärzt:innen massive Einbussen in Kauf nehmen müssen. Die damals in Aussicht gestellte zeitnahe Korrektur erfolgte nie.  Der Hausärztezuschlag und die Aufhebung der Dignitäten brachten zwar eine leichte Aufwertung. Bloss wurde diese durch die Verschärfung von unsachgemässen Abrechnungslimitationen wieder zunichte gemacht.  Die in den letzten 20 Jahren aufgelaufenen Kostensteigerungen haben die Situation zusätzlich verschärft. Berechnungen gehen davon aus, dass die Haus- und Kinderärzt:innen mit und seit der Einführung von TARMED reale Einbussen zwischen 12 und 15 % erfahren haben. Viele Praxen laufen deshalb heute wirtschaftlich am Limit, und dies, obwohl sie immer mehr Patient:innen betreuen.

Differenzierte Anwendung der Kostenneutralität ist ein absolutes Muss

Die vom Bundesrat geforderte Kostenneutralität bei Tarifeinführung und das anschliessende Monitoring der Kostenentwicklung ist für die beabsichtigte Stärkung der Haus- und Kinderärzt:innen ein grosses Risiko. Die Kostenneutralität darf die Aufwertung der Haus- und Kinderärzt:innen nicht verhindern! Es braucht deshalb zwingend eine differenzierte Umsetzung der Kostenneutralitätskonzepte und ein differenziertes Monitoring, das es erlaubt, die Kostenentwicklung differenziert zu beobachten und allenfalls negative Auswirkungen auf die praxisambulante Grundversorgung gezielt und unverzüglich zu korrigieren. Diesbezüglich brauchen wir bereits bei Einführung des neuen Tarifs Gewissheit! Andernfalls droht die Gefahr, dass übermässige Kostensteigerungen zum Beispiel im spitalambulanten Bereich auch zulasten der Haus- und Kinderärzt:innen gehen.

Kein Bürokratieschub mit dem neuen Tarif! 

Mit dem neuen Tarif dürfen keinerlei neuen administrativen Auflagen verbunden sein. Diese haben in den letzten Jahren nachweislich stark zugenommen, so dass immer mehr Zeit für Bürokratie verloren geht. Zeit, die für unsere Arbeit mit und an den Patient:innen fehlt und die die Gesundheitskosten unnötig belasten. Erstens ist das volkswirtschaftlich und gesundheitsökonomisch nicht zielführend, eine Fehlallokation von Ressourcen. Zweitens macht Bürokratie unseren Beruf und den Einstieg in die Praxis nicht attraktiver für den dringend benötigten Nachwuchs.

Praxisassistenzen dürfen nicht behindert werden! 

Die Praxisassistenz ist eine wichtige Säule in der Weiterbildung der Haus- und Kinderärzt:innen. Assistenzzeit in der Haus- und Kinderarztpraxen ist nachweislich eine der wirksamsten Massnahmen in der Nachwuchsförderung und wird mit der Förderung der ambulanten Versorgung zunehmend wichtig und versorgungsrelevant. Assistenzärztliche Leistungen von Ärzt:innen, die sich in der Weiterbildung befinden, müssen von den Praxen zwingend abgerechnet werden können.

Keine Pauschalen in den Hausarztpraxen! 

Pauschalen sind in aller Munde, man verspricht sich viel davon, wenn es um Kosteneinsparungen geht. Sie mögen in wenigen Ausnahmen sinnvoll und zielführend sein. In vielen sind sie es nicht. Und im haus- und kinderärztlichen Praxisalltag sind sie schlicht keine Option. Die Patient:innen in den haus- und kinderärztlichen Praxen, ihre gesundheitlichen Probleme, der Aufwand an Anamnese und Diagnostik, die Beratung und die Therapien und das soziale Umfeld sind derart unterschiedlich, dass eine sachgerechte Pauschalierung ärztlicher Leistungen in der Grundversorgerpraxis undenkbar ist. Das haben auch die Versicherungen eingesehen, für den Moment.