Die Zeichen stehen auf Sturm
Hausärztemangel – dringender Handlungsbedarf
Vorausgesagt hat mfe den Fachkräftemangel bei den Haus- und Kinderärzt:innen bereits seit Jahren. Jetzt ist er so akut, dass er für Patient:innen spürbar ist. Die Medien haben das Thema in den letzten Monaten deshalb auch intensiv aufgenommen.
Die Babyboomer-Generation geht in Pension, Nachfolger:innen für ihre Praxen finden sich jedoch kaum. Die Konsequenzen: Aufnahmestopp in den Haus- und Kinderarztpraxen, Praxisschliessungen ohne Nachfolgelösung, Patient:innen, die mit «Bagatellen» die Notfallstationen belasten, Eltern, die verzweifelt einen Kinderarzt suchen …
Grundversorger erarbeiten gemeinsam Masterplan «Nachwuchsförderung»
Gemeinsam mit seinen Partnerverbänden in der medizinischen Grundversorgung hat mfe deshalb im Rahmen der Vernehmlassung zur BFI-Botschaft 25-28 konkrete Forderungen beim Staatsekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) deponiert, um den Nachwuchs für die Haus- und Kinderarztmedizin zu fördern.
Die Grundlage für diese Forderungen bildet der Artikel 117a der Bundesverfassung zur medizinischen Grundversorgung, im Mai 2014 in der Volksabstimmung haushoch angenommen:
Gemäss Bundesverfassung sind der Bund und die Kantone gemeinsam für eine ausreichende und qualitativ hochstehende medizinische Grundversorgung zuständig. Der Erfolg des «Masterplan Hausarztmedizin» mit der darin enthaltenen Anschubfinanzierung von CHF 100 Mio. hat gezeigt, dass eine nationale Finanzierung für eine konsequente Erhöhung von Medizinstudienplätzen ein wichtiges und entscheidendes Element ist, um diesen Auftrag von Volk und Ständen erfüllen zu können.
Das Sonderprogramm Humanmedizin hat es erlaubt, die Zahl der Medizinstaatsexamen von 950 im Jahre 2015 auf 1300 zu steigern (ab 2025). Dies ist die absolut notwendige Grundvoraussetzung, um überhaupt auf den Mangel in der Grundversorgung reagieren zu können. Es zeigt sich nun aber in der Realität, dass diese Erhöhung bei weitem nicht genügen wird, um sowohl die Bedürfnisse der Grundversorgung als auch der spezialisierten Fachärzte abzudecken. Das Massnahmenpaket zur Stärkung der Grundversorgung muss neu aufgelegt werden.
Situation spitzt sich laufend zu
Die Bevölkerung wächst, der Anteil der über 65-Jährigen nimmt weiter zu. Bereits heute weist die Hälfte der über 65-Jährigen mindestens zwei chronische Krankheiten auf. 20,9% der über 75-Jährigen haben ihre Hausärztin in den letzten zwölf Monaten fünf oder mehr Mal konsultiert (swiss health survey 2017). Die Relevanz der medizinischen Grundversorgung ist wissenschaftlich belegt. Die Dichte an Hausärzt:innen beeinflusst die Gesundheitsindikatoren der Bevölkerung positiv.
Genügend Grundversorger senken Sterblichkeit und Hospitalisierungen und führen zu einer geringeren Zunahme von Notfallkonsultationen. Doch die medizinische Grundversorgung ist in Gefahr, die Workforce nimmt seit Jahren ab. Nur rund ein Drittel der Ärzt:innen, die eine Weiterbildung absolvieren oder anerkennen lassen, haben das Studium in der Schweiz absolviert. Das Durchschnittsalter der Haus- und Kinderärzte ist bereits heute hoch und es steigt weiter. 41% der heute Praktizierenden planen innerhalb der nächsten drei Jahre eine Reduktion ihrer Arbeitszeit. Die Bedeutung der Praxisassistenz ist zwar erkannt und in mehreren Kantonen wurden zusätzliche finanzielle Mittel gesprochen, die regionalen Unterschiede bleiben aber gross.
Die Zahl der Grundversorger reicht schlicht nicht aus. Zudem fordern neue Arbeitsmodelle und der Wunsch nach Teilzeitarbeit eine noch höhere Anzahl an ausgebildeten Haus- und Kinderärztinnen. Werden die Zahlen aus der Workforce-Studie des Kantons Bern auf die ganze Schweiz extrapoliert, werden 586 bis 845 Hausärzt:innen pro Jahr benötigt, je nach Anerkennung von ausländischen Diplomen und gewählten Arbeitsmodellen.
Ziel muss sein, dass 720 Grundversorgerinnen pro Jahr ausgebildet werden. Dies entspricht rund 40% der geforderten 1'800 Abschlüsse in Humanmedizin.
Es sind sich alle einig: Es braucht Lösungen, und zwar rasch. Unser neuer Masterplan für den haus- und kinderärztlichen Nachwuchs (siehe Kasten) bildet eine wirkungsvolle Grundlage und muss zwingend umgesetzt werden. Politische Unterstützung dafür ist wichtig und dringend nötig.
Ein Massnahmen-Paket mit Wirkung
Masterplan «Nachwuchsförderung der Haus- und Kinderarztmedizin»
Die zentrale Massnahme mit einen Investitionsvolumen von CHF 100 Mio. ist die Wiederauflage des Sonderprogramms Humanmedizin. Damit soll die Erhöhung der Medizinstudienplätze von 1'300 auf 1'800 erreicht werden.
Begleitende Massnahmen sind nötig, damit die künftigen zusätzlichen Mediziner:innen auch wirklich in der Grundversorgung tätig werden:
- Die Praxisassistenz: wir schlagen die Erhöhung von 280 auf 720 finanzierte Praxisassistenz-Stellen vor;
- Die 9 bestehenden Institute für Hausarztmedizin müssen gestärkt werden;
- Die Stärkung der Lehre der Haus- und Kinderarztmedizin in der Ausbildung, zur Förderung der Abschlüsse der Studierenden in der Grundversorgung, mit einer Erhöhung der Praktikumstage in der Praxis und begleitendem Mentoring ist Voraussetzung;
- Mehr Assistenz im Spital muss in allgemeiner innerer Medizin und in Spitalpädiatrie erfolgen, für die Stärkung der Ausbildung der künftigen Haus- und Kinderärzt:innen
- Und schliesslich braucht es die Stärkung der Lehre der Haus- und Kinderarztmedizin durch ambulant tätige Haus- und Kinderärzt:innen in der Weiterbildung, mit Mentoring für die Ärzte in Weiterbildung, mit der Organisation von Weiterbildungskursen, insbesondere auch von Praxiskursen für die Förderung der Niederlassung in peripheren Gebieten und mit Massnahmen zur Verminderung von Drop-Outs.