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Online-Magazin von mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz

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Nationalrat beugt sich der Tabaklobby und gewährleistet keinen Jugendschutz

Gastbeitrag

Nationalrat beugt sich der Tabaklobby und gewährleistet keinen Jugendschutz

Wir kommen in der Tabakprävention nicht weiter. Der Nationalrat verzichtet im Tabakproduktegesetz auf einen griffigen Jugendschutz. Noch immer ist die WHO-Rahmenkonvention zur Eindämmung des Tabakgebrauchs nicht ratifiziert.

Der Nationalrat verzichtete diese Woche erneut auf einen griffigen Jugendschutz im Tabakproduktegesetz. Damit kann die Volksinitiative "Ja zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Tabakwerbung" nicht zurückgezogen werden. Die Haus- und Kinderärzte haben zusammen mit einer breiten Allianz von Gesundheitsorganisationen, der Jugend, dem Sport und der Lehrerschaft die Volksinitiative lanciert und 2019 eingereicht.

Das Anliegen ist dringend. Gerade erst wurde eine Studie zum Nikotin-Boom an Zürcher Schulen unter der Leitung des Kinderspitals Zürich veröffentlicht. Dabei wurden 3‘500 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 16 Jahren befragt und was die Studie zeigt, ist nicht neu: ein beträchtlicher Teil der Kinder konsumiert Tabakprodukte. Bei den 16- bis 17-jährigen rauchen 20 Prozent der Knaben und 16 Prozent der Mädchen mehrmals in der Woche. Diese Zahlen decken sich mit zahlreichen anderen Untersuchungen.

Zusätzlich zur Befragung wurde in der Studie des Kinderpneumologen Alexander Möller auch ein Gesundheitscheck bei den Kindern und Jugendliche gemacht - und diese Ergebnisse sind neu: Kinder und Jugendliche, die rauchen, haben bereits im diesem Alter drei Mal mehr Atemnot und fünf Mal häufiger Asthma-Symptome als die Nicht-Rauchenden.

Besonders beliebt sind E-Zigaretten. Bereits jeder fünfte Junge im Alter von 13 Jahren raucht diese. Und der wirkliche Boom kommt wohl erst. Nachdem in den USA die Zahlen über Jahre abgenommen hatten, sind diese bei Kindern und Jugendlichen von 2017 auf 2018 sprungartig von 12 auf 21 Prozent gestiegen. Eine besondere Rolle darin spielte der E-Zigaretten-Hersteller Juul, dessen Produkt 2019 gemäss amerikanischen Gesundheitsbehörden von über 5 Millionen Jugendlichen konsumiert wurde. Ein Trend, der auch auf Schweizer Pausenplätzen sichtbar ist. In der Schweiz ist Juul seit 2018 erhältlich, bevor diesen Oktober überraschend der Rückzug aus der Schweiz verkündet wurde. Gegen Juul läuft in den USA mittlerweile ein Gerichtsverfahren, weil sich ihre Werbung gezielt an Jugendliche richtete.

 

 

Die Branche reguliert sich selber

IIn der Schweiz wird die sogenannte Selbstregulierung bis heute grosszügig ausgelegt. Verkaufsstellen sind eigentliche Tabak-Werbeplattformen, die Werbung mit der Sonderaktion für Zigaretten findet sich oft mitten in den Süssigkeiten an der Kasse. Geworben wird auch mit Inseraten oder Influencerinnen, und zwar dort, wo die Jugendlichen sicher erreicht werden: in Gratiszeitungen und natürlich im Internet.

181 Länder haben bisher die WHO-Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle ratifiziert, die Schweiz kann genau aus dem einen Grund nicht mitmachen. Für die Ratifizierung der Konvention braucht es, das zeigt ein Bericht des Bundesamts für Gesundheit, die Regulierung der Werbung in Zeitschriften, Zeitungen und im Internet – sie  müsste untersagt werden.

Das Parlament begnügt sich bisher mit dem Märchen, dass sich die Branche schon selber reguliert. Und so stammt die letzte Vereinbarung zur Selbstbeschränkung der Zigarettenindustrie in der Werbung aus dem Jahr 2005. Für eine griffige Selbstregulierung bräuchte es den Willen einer Branche, die ein akutes Problem mit ihrem Produkt hat: 9‘500 Todesfälle im Jahr….

Konrad Graber, CVP, hielt während der Beratung des Tabakproduktegesetzes letztes Jahr im Ständerat fest, dass Tabakkonsum mit 15 Prozent die häufigste vermeidbare Ursache bei den Todesfällen in der Schweiz ist, der Grund für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen und Atemwegserkrankungen. Neben dem menschlichen Leid sind auch die volkswirtschaftlichen Kosten enorm, rund 5,6 Milliarden Franken pro Jahr.

Wir kennen auch die Zahlen zum Einstieg: Die Mehrheit der Rauchenden beginnt vor 18 Jahren mit dem Konsum. Wer mit 21 noch nicht konsumiert, beginnt wahrscheinlich auch nicht mehr. Das macht das Problem der Tabakindustrie so makaber: wenn pro Jahr 9‘500 Konsumierende sterben und langjährige Konsumierende früh beginnen müssen, dann nimmt man es mit der Selbstregulierung vielleicht nicht so genau.

Der Nationalrat weicht ab

Der Ständerat ist zur Einsicht gekommen, dass das Projekt “Selbstregulierung” ein teures und gescheitertes Projekt ist. So war für Konrad Graber nach der Beratung der Kommission klar: er orientiere sich bei allen Entscheiden am Jugendschutz und an der WHO-Rahmenkonvention. Gleich sah es die Kommission, die sich einstimmig für ein generelles Verbot von Werbung in Zeitungen, Zeitschriften, anderen Publikationen sowie im Internet aussprach. FDP-Ständerat Eder erläuterte im Rat, dass damit die in der WHO-Rahmenkonvention festgelegten Mindestanforderungen im Bereich der Werbung, der Verkaufsförderung und des Sponsorings erfüllt werden - der Rat folgte.

Auch die Kommission des Nationalrats verkündete nach der Beratung: «Unbestritten bleibt folglich das grundlegende Ziel, den Jugendschutz zu stärken. Gemäss der Kommissionsmehrheit soll das neue Tabakproduktegesetz der Schweiz ermöglichen, das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakgebrauchs zu ratifizieren.»

Deshalb überrascht es, dass der Nationalrat bei zentralen Punkten den Jugendschutz aufweicht: Werbung im Internet und in Zeitungen soll weiterhin möglich sein, bei der Verkaufsförderung werden E-Zigaretten ausgenommen und auch der Passivrauchschutz wird aufgeweicht. Der Mehrheit aus CVP, FDP und SVP ist der Jugendschutz und die Unterzeichnung der WHO-Rahmenkonvention wohl doch weniger wichtig als die Interessen der Tabaklobby.

Damit wir uns richtig verstehen: bereits der Ständerat verzichtete auf die vollständige Umsetzung unseres Anliegens. Wir wollen, dass Tabakwerbung Kinder und Jugendliche nicht erreicht. Das wollen aber nicht nur wir, das ist auch der Wunsch einer Mehrheit der Bevölkerung. Gemäss Botschaft des Bundesrates zum Tabakproduktegesetz sprachen sich 2015 in einer Umfrage 64 Prozent für ein Werbeverbot aus. Auch die Befragung der Lungenliga Schweiz von diesem Herbst zeigt, dass ein Tabakwerbeverbot in der Bevölkerung eine 2/3-Mehrheit fände.

Der Nationalrat war nun leider nicht gewillt, einen Kompromiss im Sinne eines konsequenten Jugendschutzes zu finden. So stehen die Zeichen immer mehr auf Volksabstimmung.