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Online-Magazin von mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz

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«Wir können Corona» – starke Versorgungskette ist entscheidend

Kernthema

«Wir können Corona» – starke Versorgungskette ist entscheidend

Erinnern wir uns an die ersten Wochen der Corona-Krise in Europa. Die Gerüchte aus Mailand schiessen ins Kraut, die Bilder aus Wuhan geben zu denken, aber alles wirkt noch fern und kaum jemand macht sich grosse Sorgen oder rechnet mit ähnlichen Herausforderungen für die Schweiz.

Dass am 23. Februar elf Dörfer in der Lombardei abgeriegelt werden, erstaunt und beruhigt gleichzeitig. Innert zwei Wochen soll so das Problem eingedämmt werden...

In der Schweiz ist der erste positiv getestete Patient ein 70jähriger Tessiner am 25. Februar, angesteckt in Mailand. Bereits am 28. Februar werden vom Bundesrat Massnahmen auf der Grundlage des neuen Epidemiengesetzes ergriffen, Grossveranstaltungen wie die Basler Fasnacht werden abgesagt.

Wenig später: Die Bilder aus Bergamo haben Eindruck hinterlassen und wirkten wie Katalysatoren, um die Schweiz zu motivieren, es nicht so weit kommen zu lassen. Der Lockdown „made in Switzerland“ wird am 13. März verkündet, zwei Monate später erst kommen wir vorsichtig in die zweite Phase der Lockerung. Und damit beginnen Analysen und Kritiken, erste Lehren können gezogen werden.

Italien: Zwar verfügt die Lombardei in der Spitzenmedizin über viel Wissen. Diese rentable Medizin ist aber nach 25 Jahren rechter Regionalregierungen (die italienischen Regionen sind wie die Kantone in der Schweiz weitgehend für die Gesundheitspolitik zuständig) völlig privatisiert. Der dafür Verantwortliche – Gouverneur  für die Berlusconi-Partei während 18 Jahren – sitzt zwar seit Februar 2019 wegen Korruption im Gefängnis, doch die Folgen seiner Politik ändern sich nicht so rasch: die medizinische Versorgung mit Hausärzten, die öffentlichen Spitäler oder die Heimpflege sind in einem traurigen Zustand.

Entsprechend drängen Corona-Kranke mit leichten Symptomen ab Ende Februar in die Spitäler, wo die Kapazitäten bald erschöpft sind. Dieser Engpass führt zu einem folgenschweren Fehlentscheid: Die Behörden verlegen Corona-Patienten mit leichten Symptomen von den überfüllten Spitälern auf Pflegestationen von Altersheimen. Dort werden Covid-Patienten und betagte Bewohner vermischt, in den Heimen fehlt es an Schutzmasken, Schutzkleidung oder Corona-Tests. Die tragischen Folgen sind bekannt: Allein im grössten Altersheim Europas in Mailand sterben 200 von 700 Insassen.

Damit nicht genug: Mode und Fussball, zwei italienische Markenzeichen, verschlimmern die Lage. Vom 18. bis 24. Februar findet die Internationale Fashion Week in Milano mit 170 Mode-Defilées statt. Und am 19. Februar spielen im Champions-League-Spiel Atalanta Bergamo und Valencia in Mailand vor über 45’000 Zuschauern,  was jetzt schon in die Epidemiengeschichte als „Spiel Null“ des Corona-Virus eingeht.

Ähnliche Geschichten gibt es auch aus Spanien und Grossbritannien zu erzählen: mildes Frühlingswetter treibt die Leute auf die Strassen, Grossveranstaltungen werden bis weit in den März hinein durchgeführt, trotz eindringlicher Warnungen der Gesundheitsexperten. Der Lockdown kommt zögerlich und spät. Das Gesundheits- und Pflegesystem in beiden Ländern ist von Sparmassnahmen und liberalen Reformen geschwächt und schnell überfordert. Dies ist angesichts der medizinischen Grundversorgung in diesen beiden Ländern, die von der WONCA (Weltorganisation für Allgemein- und Familienmedizin) als gut befunden wird, erschreckend, zeigt aber, dass die Grundversorgung allein nicht mehr viel ausrichten kann, wenn Spitäler und Alterspflege leiden sowie die Politik nicht mitspielt.

Angesichts der Opferzahlen hat die Schweiz wohl einiges richtig gemacht, trotz nicht weniger starker Betroffenheit. So hat der Bundesrat recht früh und konsequent reagiert und trotzdem den totalen Lockdown vermieden. Das Gesundheitssystem hat sich als robust erwiesen und ist nicht an seine Grenzen gelangt. Die Grundversorger konnten ihre Rolle wahrnehmen, Gesundheitspersonal in den Spitälern mit Vermittlungsbörsen, Freiwilligen, Umorganisationen auch zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen, ja sogar mit Armeeangehörigen verstärkt und entlastet werden. Trotz ungenügender Pandemievorsorge waren schliesslich keine Intensivstationen überfüllt und die Kurve konnte rasch abgeflacht werden. Seien wir froh darüber!

Was lernen wir?

Es braucht die ganze starke Kette in der Versorgung, von den Möglichkeiten zuhause (Spitex), über die Haus- und Kinderärzte, die Alters- und Pflegeheime bis hin zu den Spitälern, ob regional oder zentral. Dass mit dem Epidemiengesetz auch gewisse Lehren aus den kleineren Epidemien wie Sars1 gezogen wurden, war sehr hilfreich.

Es braucht also eine starke Grundversorgung mit eigenen Handlungsmöglichkeiten, eine Pflege mit den nötigen Ressourcen, die Möglichkeit zum schnellen Entscheid im Gesundheitssystem und schliesslich die Fähigkeit zur Betreuung vieler schwerer Fälle in kurzer Zeit. Pflegen wir diese Grundlagen, verbessern wir, was fehlte, verhindern wir die nächste Welle!

Kleine Chronologie:

Ende 2019
eine neuartige Krankheit taucht in Wuhan, in der Provinz Hubei in China auf

31. 12. 2019
die WHO wird eingeschaltet

11. 01. 2020
offiziell erster Todesfall in China

25. 01. 2020
erste Fälle in Europa, Frankreich

30. 01. 2020
die WHO erklärt die internationale Notlage, Feiern zum Brexit

11. 02. 2020
Die neuartige Lungenerkrankung aus China wird von der WHO Covid-19 genannt. Das Virus erhält den Namen Sars-CoV-2.

19. 02. 2020
Champions-League Spiel Atalanta Bergamo-Valencia in Mailand, 45'000 Zuschauer

21. 02. 2020
erster Todesfall in Italien

25. 02. 2020
erster positiver Test in der Schweiz

28. 02. 2020
besondere Lage gemäss EpG

05. 03. 2020
Erster Todesfall in der Schweiz

07. 03. 2020
Rugby-Match England-Wales in Twickenham, 82'000 Zuschauer, mit demonstrativem Auftritt des Premierministers

08. 03. 2020
Grosse Demonstrationen in Spanien zum Frauentag, von der Regierung unterstützt

10.-13. 3. 2020
Cheltenham-Festival (Pferderennen) in GB mit 250‘000 Zuschauern

11. 03. 2020
Champions-League-Match Liverpool-Atletico, 52‘000 Zuschauer

17. 03. 2020
ausserordentliche Lage gemäss Art. 7 EpG